FRITZI ERNST


„doch Termine“

Helios 37, Köln
Mi, 27.04.2022
Einlass: 19:00 Uhr
Beginn: 20:00 Uhr
16,00 € zzgl. Gebühren

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© Frederike Wetzels
© Frederike Wetzels

Keine Termine, also. Um den naheliegenden Gag gleich zu Beginn abfrühstücken: Ja, esstimmt, seit über einem Jahr ist Pandemie und Fritzi Ernst veröffentlicht „Keine Termine“. Daist sie natürlich in gewisser Weise nicht allein. Und wo wir schon beim Frühstücken sind: Ja,“Keine Termine“ ist gleichzeitig Fritzi Ernsts Solodebüt nach dem Ende von Schnipo Schrankevor zwei Jahren.Schnipo Schranke, die alte Band von Fritzi Ernst, sangen „über Pisse und Sperma, doch dereigentliche Star in ihren Liedern [war] nicht der Pipi-Kaka-Humor sondern Versagens-Ängste,Depressionen und Psychosen“ (detektor.fm) und landeten nicht nur wegen der Über-Single“Pisse“ in sämtlichen Jahrescharts, auf der Rock am Ring-Bühne, in ausverkauften Hallen, miteiner eigenen Kolumneim Musikexpress und bis heute in den Herzen aller Indie Pop-Fans.2019 war Schluss für Schnipo Schranke und die Reise des Duos endete nach sieben Jahrenund zwei Alben zum großen Bedauern von Fans und Feuilleton. Und nicht zuletzt von FritziErnst selbst.Doch wie das nunmal so ist bei Trennungen: Manchmal setzen sie auch Powerfrei. Zum Beispiel die Art von Power, mit der man dann plötzlich eine Klavierbau-Ausbildungbeginnt. Rückblickend war es vielleicht einer dieser berühmten goldenen Umwege: nämlichder, auf dem sich Fritzi Ernst den nötigen Mut erarbeitete, um wieder Musik machen, alsKünstlerin aufzutreten und ihr Solodebüt veröffentlichen zu können.Und das kann man gut hören. Denn schon mit den ersten sehr entschiedenen Klaviertönendes gleichermaßen als namensgebende Single als auch Album-Opener fungierenden „KeineTermine“ schwant einem: Dieses Album ist unique: „Alle wollen was erleben. Ich könnt‘ michübergeben.“ Keine Termine nicht nur als Zustandsbeschreibung, sondern alswünschenswertester aller Zustände, als happy place. Ein musikgewordener Freitagabenddaheim, während man bei billigem Rotwein die nervigen Nachrichten aller Freund:innen, dienoch „unterwegs“ sind und einen zum Feiern überreden wollen, ignoriert. „Jede Sekunde einGenuss, wenn ich nichts machen muss.“ Die Stimmung ist schon einmal gesetzt: Ein Songwie das Gegenteil einer Party, aber-und man kann es leider nicht anders sagen-eben auchüber und mit dem ehrlichen Fun am Musikmachen.Wie zum Beispiel auch in „Trauerkloß“, einer Reise zurück zum ersten Schultag. Doch stattkindlicher Vorfreude und volle Schultüten erwartet uns hier vor allem: Müdigkeit. Und Angst“Ich war doch immer brav, Mama? Darf ich zurück in meine Schlafkammer?“Motivationstechnisch ist hier sicher noch Luft nach oben, in puncto Coolness gilt aber schonin der Grundschule: „Erster Schultag, letzte Bank.“ Doch die Coolness kommt mit sichtbarenBruchstellen, denn schon mit der Einschulung liegen die „Nerven blank“, vor allem wenn manzu allem Überfluss auchnoch von „30 Gören“ angestarrt wird und mit „Name sagen“ dran ist.Ein Lied wie aus der Feder vom schlechtgelaunten Zwillingsbruder von Rolf Zuckowski unddessen Refrain sich im Kopf festsetzt, vielleicht direkt neben den eigenenGrundschulerinnerungen, und dort fürs Erste bleibt.So wie die anderen Songs auf „Keine Termine“ eigentlich auch, die nicht nur alle gemeinsammit Ted Gaier vonDie Goldenen Zitronenproduziert worden sind, sondern allesamt auch insehr unterschiedlichen Phasen in Fritzi Ernsts Leben entstanden sind und zum Teil noch indie Schnipo Schranke-Zeit zurückreichen. Doch auch wenn das wundervolle Artwork inNotizbuch-Optik (Danika Arndt) es möglicherweise vermuten lässt: Ceci n’est pas unTagebuch. Sondern vielmehr eine extrem verdichtete, oftmals introspektive Sammlung vonSongs, die von Erinnerungen und Erlebnisse, Ängsten und Depressionen und, natürlich auchdas, vom Anfang und Ende der Liebe erzählen. Irgendwo zwischen Depression Pop und PopDepression. Und zwar auf diese gute Weise,die viele machen wollen, aber nur ganz wenigekönnen: So, wie man’s noch selten gehört hat. Denn wer zum ersten Mal „Ich sehe in denAbgrund, ich sehe in den Schlamm, ich sehe den Rubin und ich mag dich, Mann“ („DenRubin“) hört, kommt nicht mehr hinter das Wissen zurück, dass da jemand gegen jedeWahrscheinlichkeit doch noch ein neues Gefühl zwischen Hoffnung und Verzweiflungentdeckt hat. Und dann grätscht auf einmal auch noch dieses Harmonium rein, eines derwenigen Instrumente neben den Klavieren auf dem Album, und das Fritzi Ernst spontan aneinem verregneten Sonntagnachmittag aufgenommen hat, als „Den Rubin“ eigentlich schonfertig war. Gänsehaut, aber von der unironischen Sorte.Musikalisch bieten die meist minimalistischen Arrangements die exakt richtige Kulisse fürTexte, die so unprätentiös wie möglich daherkommen-kein Text über Musik, ohne das etwas“daherkommt“ oder wer „entführt“ wird, so will es das Musikgesetz-und dadurch eine enorme,jawohl, lyrische Power entwickeln, in der sich unterschiedlichster anarchischer Spielarten vonStereo TotalüberK.I.Zbis hin zuHelge Schneiderbedient wird. Wobei, das stimmt auch nichtso ganz: Denn Fritzi Ernst entwickelt auf und mit „Keine Termine“ eine eigene Stimme undeinen eigenen Sound, also eine künstlerische Vision, der man wohl kaum dadurch gerechtwerden kann, dass man sie reflexhaft zu anderen extrem kultigen Musikmännern oder ihreralten Band in Bezug setzt. Vielmehr sollte man sagen: Hört dieses Album und erzählt eurenFreund*innen davon. Wenn’s nichts für sie ist: Schade. Wenn sie erkennen, was für einwahnsinniger Glücksfall „Keine Termine“ geworden ist: Beglückwünscht sie! Oder wie FritziErnst sagen würde: „Ich schenk‘ dir alles Liebe und auch ganz viel Glück. Und wenn du dasnicht haben willst, dann gib’s mir halt zurück“ („Alles Liebe“)